Maßregelvollzug

Maßregeln der Besserung und Sicherung sind schuldunabhängig. Sie können also auch bei Schuldunfähigkeit des Täters (§ 20 StGB) verhängt werden und dienen in erster Linie präventiven Gesichtspunkten, namentlich dem Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern sowie deren Besserung. Dieses nebeneinander von schuldabhängiger Strafe und schuldunabhängiger Maßregel im deutschen Strafrecht wird als System der Zweispurigkeit bezeichnet.

Freiheitsentziehende Maßregeln sind die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§§ 61 Nr. 1, 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§§ 61 Nr. 2, 64 StGB) sowie die Sicherungsverwahrung (§§ 61 Nr. 3, 66 StGB).

Bei der Anordnung von Maßregeln ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Nach § 62 StGB darf eine Maßregel der Besserung und Sicherung nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Bedeutung, dass heißt Schwere, Art und Häufigkeit der begangenen Taten, die Art und Schwere der zu erwartenden Taten sowie der Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr (z. B. Rückfallgeschwindigkeit) zu prüfen und zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen.

Außer für die Sicherungsverwahrung gilt grundsätzlich, dass die Maßregel vor der Strafe vollzogen wird, wenn diese neben einer Freiheitsstrafe angeordnet wurde (§ 67 Abs. 1 StGB). Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird gemäß § 67 Abs. 4 S. 1 StGB die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis 2/3 der Strafe erledigt sind. Dies gilt nicht, wenn das Gericht eine andere Anordnung trifft (z. B. § 67 Abs. 4 S. 2 StGB).

Wird die Maßregel nach § 63 oder 64 StGB vor der Strafe vollzogen, so kann die zuständige Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung des Strafrestes unter bestimmten Voraussetzungen (§ 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB) zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist (§ 67 Abs. 4 S. 1 StGB). Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

Ausnahmsweise kann die Strafvollstreckungskammer auch nachträglich anordnen, dass die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der freiheitsentziehenden Maßregel zu vollziehen ist, wenn deren Zweck dadurch leichter erreicht wird (§ 67 Abs. 2 StGB). Vor dem Ende des Strafvollzugs muss dann geprüft werden, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung auch erfordert oder ob die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wird. In diesem Fall tritt dann allerdings regelmäßig Führungsaufsicht ein (§§ 67c Abs. 1 S. 2, 68 ff. StGB).

Die Aufgabe der Verteidigung ist hier – neben der Gestaltung des Vollzugs in Form der Beantragung von Lockerungen, Verlegungen, Therapeutenwechsel etc. – insbesondere auch die Kontrolle von Art und Umfang der Behandlung („Behandlungsdichte“) und die Vertretung in den regelmässig stattfindenden Anhörungen vor der zuständigen Strafvollstreckungskammer. Die Praxis in den Anstalten entspricht in den wenigsten Fällen der gesetzlichen Fiktion einer effektiven Behandlung und Betreuung des Untergebrachten. Ursächlich hierfür sind u.a. personelle und sächliche Unzulänglichkeiten in den Kliniken. Das Ziel einer zeitnahen Entlassung wird daher im Rahmen einer Unterbringung allzuoft aus den Augen verloren.