Einleitung
Als Referenz werden nachstehend einige vor dem Bundesverfassungsgericht von uns erwirkten Entscheidungen und ein Urteil der Grossen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte näher erläutert. Diese können zudem über das Aktenzeichen unmittelbar auf der Internetseite des Gerichts in vollem Wortlaut eingesehen werden.

Verkündung erweiterter Haftbefehle

Es handelt sich um eine grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. September 2001 zum Recht der Untersuchungshaft (2 BvR 1144/01). Diese führte zu einer vorher nicht gewährleisteten bundesweiten Beachtung verfassungsrechtlicher Formerfordernisse durch die für die Anordnung oder die Fortdauer der Untersuchungshaft zuständigen Gerichte. Erweiterte Haftbefehle werden seitdem, dem Art. 104 des Grundgesetz entsprechend, gegenüber den Inhaftierten und deren Verteidigung mündlich bekannt gegeben, so dass diese die Gelegenheit haben, unmittelbar Einwände zu erheben.

2/3 Entscheidung und Beschleunigungsgebot
Gegenstand dieser Verfassungsbeschwerde war ein oberlandesgerichtlicher Beschluss, mit der die Feststellung eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot in einem Verfahren zur Reststrafenaussetzung zur Bewährung abgelehnt wurde. Das Bundesverfassungsgericht stellt hier klar, das der Grundsatz der Beschleunigung für alle staatlichen Bereiche gilt in denen in das Grundrecht der Bürger auf persönliche Freiheit eingegriffen wird (2 BvR 449/10) und hat den Vorgang zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Tätigkeit als Substitutionsarzt und Straftatverdacht
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen einen Beschluss des Landessozialgerichts, soweit mit diesem die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf einer vertragsarztrechtlichen Genehmigung zur Substitutionsbehandlung nur unter einer einschränkenden „Maßgabe“ angeordnet wurde. Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich und der Mandant konnte (zunächst) weiter praktizieren (1 BvR 1876/09).

Untersuchungshaft und Berufungsverfahren
Das Bundesverfassungsgericht gab einer Beschwerde gegen einen Haftfortdauerbeschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt (2 BvR 388/09). Die Entscheidung betrifft die grundsätzliche Bedeutung des aus dem Freiheitsgrundrecht folgenden Gebots zur beschleunigten staatlichen Bearbeitung von Verfahren, in denen sich der Betroffene nach einer Verurteilung in Untersuchungshaft befindet. Das Oberlandesgericht ordnete daraufhin die Entlassung des Mandanten aus der Untersuchungshaft an. Die Behandlung des Verfahrens durch die zuständigen Justizbehörden war nicht verfassungskonform.

Jugendstrafverfahren
Wenngleich nicht wie die vorstehende Entscheidung bundesweit, so doch für den hiesigen Landgerichtsbezirk von Bedeutung war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2005 (2 BvR 332/05) zu den Voraussetzungen der Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft gegen Jugendliche. Zuständig im Bereich des jugendstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens für Maßnahmen (Vorführung, Anordnung der Untersuchungshaft etc.) gegenüber Jugendlichen ist demnach nicht – wie in der Praxis leider häufig anzutreffen – der allgemein zuständige Ermittlungsrichter, sondern der über besondere Sachkunde verfügende Jugendrichter.

Akteneinsicht und Untersuchungshaft
Die im Verfahren M. vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR behandelten Fragen beschäftigen sich u.a. mit der Problematik der Waffengleichheit im Strafprozess, insbesondere im Bereich der Untersuchungshaft. Nachdem die 5. Sektion des Gerichtshofs dem Beschwerdeführer in zwei von drei Beschwerdepunkten folgte (App. No. 11364/03), wurde durch die Verteidigung erfolgreich der Antrag auf Verweisung an die Große Kammer gestellt. Die Große Kammer entschied daraufhin, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen.

Dieser fand am 24. September 2008 im Hearing Room 1 im Gerichtsgebäude des EGMR in Straßburg statt. Nach zweimaliger Beratung entschied die Große Kammer durch Urteil vom 9. Juli 2009 (Urteil 11364/03,)ein zweifacher Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention vorliegt, und verdoppelte das durch die Fünfte Kammer festgesetzte Schmerzensgeld. Zum einen habe die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft zu lange gedauert und darüber hinaus sei innerhalb dieses Verfahrens das aus der Menschenrechtskonvention folgende Gebot der „Waffengleichheit” zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft missachtet und verletzt worden. Dem Begehren des Beschwerdeführers auf Feststellung von „Willkür und Machtmissbrauch” durch die innerstaatlichen Gerichte wurde, zu unserem großen Bedauern, auch durch die Große Kammer nicht stattgegeben. Dies allerdings mit einer äußerst knappen Entscheidung aufgrund eines Verhältnisses von neun zu acht Stimmen.

Mit der Entscheidung einher erging eine Pressemitteilung des Bundesministeriums für Justiz (BMJ), wonach – der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgend – das Akteneinsichtsrecht im Falle der Untersuchungshaft präzisiert und die Rechte der Verteidigung gesetzlich verbessert würden. Das Gesetz trat am 1. Januar 2010 in Kraft.

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